Eigentümliches geschieht im Lande. Eine Präsidentschaftswahl steht an. Was an sich nicht sonderlich bemerkenswert wäre. Immerhin hatte der Urnengang, wenn es um den Bundespräsidenten ging, in den Jahrzehnten nach Waldheim das Spannungspotenzial eines Ländermatches Österreich gegen Andorra. Wählen, ein neues Gesicht abnicken. Das in der Folge nicht weiter auffiel. Nicht in der Realverfassung, nicht in der Tagespolitik. Ein freundlicher Grüßaugust.
Und jetzt? Österreich-Deutschland, Endrunde. Cordoba, damit das klar ist. Blau gegen den Rest. Wenn ein Wahlkampf je den martialischen Suffix verdient hat, dann dieser. Nach Waldheim – und auch davor – gab es einen roten Kandidaten und einen schwarzen. Dazwischen locker eingestreut Exoten, um die Demokratie einen Klecks bunter zu machen. Die Großparteien rasselten unterhaltsam mit dem Säbel, eine Pflichtübung. Das nahm keiner ernst. Warum auch? Der Präsident war und blieb ein schlafender Riese, dessen verfassungsgemäße Macht kopfschüttelnd bestaunt wurde.
Nicht mehr.
Beide Kandidaten der Stichwahlen, Norbert Hofer und Alexander Van der Bellen, sind erstmals in der Wahlgeschichte um das höchste Amt im Staate ernsthaft in den Ring gestiegen und kündigen vollmundig an, was mit Österreich anzustellen sie alles imstande sind. Wer von ihnen welche Regierung ganz bestimmt angeloben würde und welche ganz bestimmt nicht. Sie dürfen das, wenigstens einer von ihnen, sobald er erst inauguriert ist. Der schlafende Riese reibt sich die Augen. Erwachen wird er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Nicht aus Unvermögen, sondern weil es innenpolitisch keinen schlanken Fuß macht. Und wenn doch? Es würde ihn keiner daran hindern.
Da ist kein Europa mehr, das noch vor 16 Jahren internationale Ächtung über ein Land verhängt hat, in dem ein rechtspopulistischer Jörg Haider in Regierungsnähe war. Kein Europa, das heute Staatschefs auch nur abmahnt, wenn sie diktatorische Kernkompetenzen wie die Aufhebung der Pressefreiheit pflegen.
Trotzdem wird sich keiner der Kandidaten über die ungeschriebene Konvention des Machtverzichts hinwegsetzen. Noch sind wir nicht soweit in Österreich.
Wir sind allerdings so weit, dass die Präsidentenwahl in eine Pseudo-Nationalratswahl umgedeutet wurde. Hofer ist nicht bloß der von der FPÖ aufgestellte Kandidat. Er ist, so er gewinnt, ein Präsident der FPÖ, ein Volksgruppenvertreter. Staatsoberhäupter sehen anders aus. Repräsentativer.
Während also auf der einen Seite eine zuvor kaum denkbare bunte Zweckallianz aus Bürgerlichen, Sozialdemokraten und Grünen bis hin zur weit Linken eine Wahlempfehlung für den Grünnahen, aber für dieses Amt halbwegs glaubhaft überparteilichen Van der Bellen abgibt, steht auf der anderen Seite Hofer, der aus seinem exklusiven Eintreten für die blaue Parteiklientel kein Hehl macht.
Das geht in Ordnung, wenn es sich um eine Nationalratswahl handeln würde. So geht Demokratie. Es handelt sich aber um keine Nationalratswahl, so geht Demokratie nicht. Ein bedauerlicher Fall von off-topic. Bedauerlich für die Demokratie, bedauerlich für Österreich, bedauerlich für jene, die nicht zwischen dem Bundespräsidenten und einem Parteiführer unterscheiden können. Noch bedauerlicher für die, die zwar in der Lage sind, diese doch sehr prinzipielle Unterscheidung zu treffen, denen diese Einsicht aber nichts nützt. Nicht, wenn dem gegenüber eine wachsende Masse steht, die blau wählt, um es ihnen zu zeigen. Ihnen. Wem? In dem Fall: den Österreichern. Dem Volk, wem sonst? Dem scheidenden Präsidenten Heinz Fischer brauchen sie nichts zu zeigen. Der scheidet ganz von allein, kraft der Verfassung. Den Herrschenden, der Regierung? Themaverfehlung. Das kommt erst in zwei Jahren dran.
Was also ist das Mandat, das Hofer von seinen Wählern bekommt? Staatsputsch mit anschließender Präsidialregierung? Was, wenn man einen FPÖ-Wähler fragen würde, ob er seinen Anteil dazu beitragen möchte, um eine Doublette von Putin oder Erdogan an der Macht zu haben, mit allen demokratiedefizitären Implikationen?
Was wir dieser Tage erleben, ist in dieser Dimension noch nie dagewesener parteipolitischer Missbrauch an einem Amt, das gedacht war, als Staatsnotariat (©Klestil) die Interessen des Volkes zu vertreten. Und nicht bloß die einer Volksgruppe, die da was verwechselt.
Stefan Peters