„Na gut. Sagen wir unentschieden“ Monty Python, Die Ritter der Kokosnuss
Der Ausgang der Bundespräsidentenwahl könnte in Zahlen nicht undeutlicher sein. In der Sache lässt er an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Wir haben ein fundamentales Problem in Österreich. Ein Bildungsproblem. Und damit ein Chancen- und Verteilungsproblem.
Es ist nicht richtig, dass die Hälfte der Wähler als dumpfdeutschtümelnde Neonazis über einen Kamm zu scheren sind. Ja doch, es sind ihrer zahlreich darunter, und das ist dramatisch genug.
Doch die Empirie spricht eine deutliche Sprache. Der typische Blauwähler ist jung, männlich, ungebildet. Jung genug, um zu verstehen, dass seine Zukunft an einem seidenen Faden hängt – kein Job, eine vage Mindestpension und ein gesellschaftliches Korsett, aus dem es kein Entrinnen gibt. Männlich genug, um zu verstehen, dass die alten patriarchalen Rollenbilder im Mistkübel der Geschichte gelandet sind, weit und breit aber kein Ersatz bereitsteht, an dem sich ein moderner junger Mann ausrichten kann (und darf). Ungebildet genug, um gerade noch zu verstehen, dass es stets die Anderen sind, die ihn auf der Bildungsautobahn mit Höchstgeschwindigkeit überholen, weil Bildung eben (wieder) erblich ist in unserem Land.
A propos Land. Dort wohnt er, der Blauwähler, in einer strukturgeschwächten, wirtschaftlich und schulisch ausgedünnten Gegend, in der jedes Jahr zur Sommerzeit zwei, drei Züge aus dem Fahrplan der Regionalbahn gestrichen werden.
Dort erreicht ihn keine Stimme aus der Sozialdemokratie, kein Angebot der Grünen oder Christdemokraten. Zu dünn, zu aufgegeben ist das Land.
Es ist der Platz, wo Strache fischt. Dort, wo politische Bildung keinen Platz hat. Dort, wo ganz locker eine Wahl zum Bundespräsidenten mit einer Landtags- oder Nationalratswahl verquirlt werden kann. Und keiner merkt’s. Keiner fragt, ob eine Proteststimme bei solch einer Wahl nicht in Wirklichkeit eine Proteststimme gegen Österreich ist.
Kein Wunder. Die Regierung hat die Handlungsführerschaft verspielt. Sie erweckt auch bei genauerer Betrachtung den Eindruck, vor den Interessen der Finanzwirtschaft und denen globaler Wirtschaftsbetriebe in die Knie gegangen zu sein. Anders lässt sich ihr Handeln nicht erklären. Den Bürgern verpflichtet, wären in den vergangenen Jahren massive Weichenstellungen geschehen. Angefangen von einer Transaktionssteuer, die die Spielerei auf den Börsen zu einer für den Staat lukrativen Angelegenheit machen über gezielte Förderungen für Klein- und Mittelbetriebe, Solidarabgaben für die reichsten fünf Prozent des Landes, die Aufhebung der Gruppenbesteuerung und andere mächtige wirtschaftspolitische Lenkungsinterventionen bis hin zu einer Bildungsoffensive, die sich nicht nur in Strukturkosmetik erschöpft, sondern eine umfassende Anhebung der Volksbildung anpeilt.
Was geschieht, ist das Gegenteil. Die Bildung wird ausgeblutet, an ihre Stelle ist die Förderung von konzernkompatibler Ausbildung für viel zu wenige Menschen getreten, die Fachhochschulisierung Österreichs, die die Kluft zwischen Elite und Ungebildeten verbreitert und ihren Beitrag zu einem fatalen Mechanismus leistet – Privatisierung von Gewinnen, Verstaatlichung von Verlusten.
Das geht sich nicht aus.
Nicht, dass Strache Lösungen anbieten kann. Er und seine Parlamentsfraktion haben in den vergangenen Jahren alle wesentlichen Vorstöße zu sozialen Reformen im Nationalrat abgelehnt. Was er anbietet, sind Sündenböcke, die, auf die die jungen ungebildeten Männer vom Land herabschauen können. Flüchtlinge, Migranten, Muslime, Frauen, Kulturschaffende. Alles, was halbwegs fremd wirkt.
Das ist noch kein politisches Programm. Doch es verfängt bei all denen, die den leichten Weg gehen, wenn es darum geht, einen Verantwortlichen für die eigene Lebensmisere auszumachen. Der schwierige Weg wäre, sich dem eigenen Spiegelbild zu stellen. Doch das verlangt Bildung. Und dazu hat der Blauwähler keinen Zugang.
Ob Christian Kern in der Lage und willens ist, gegen die ständigen Drohgebärden einer globalen Wirtschaft den Regierungsauftrag zum Wohl des Volkes zu erfüllen oder nicht, wird zu sehen sein. Wenn ja, wird Strache mit seiner Politik der Sündenböcke in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken. Wenn nein, ist der soziale Friede in unserem Land eine Bombe mit brennender Zündschnur.