Die Angst vor der Angst

23.7.2011

Die Anschläge in Norwegen – und was wir daraus machen.

In Norwegen sorgt ein terroristischer Doppelanschlag für ein Blutbad. So weit, so schrecklich. Und außerdem noch für eine Reaktion seitens der Regierung, die von abenteuerlicher Klarheit zeugt.

Während sich Fachleute in definitorischen Spitzfindigkeiten ergehen, ob es sich bei der Tat überhaupt um einen Terroranschlag gehandelt haben könnte oder um einen Amoklauf, steht wieder einmal die Frage im Raum, wie Politik mit Derartigem umgeht. Immerhin ist Terror dazu da, ein politisches System zu destabilisieren. Zieht das politische System – eine Regierung oder Staatengemeinschaft – nach, hat es schon verloren. Geschehen im Fall von 9/11, als der eilig verabschiedete PATRIOT Act für weltpolitische Verwerfungen in Sachen Bürgerrechte sorgte.

Durch die restriktive Reaktion auf einen Terrorakt versuchte die Bush-Administration, so zu tun, als würde sich Geschichte wiederholen. Das tut sie nicht. Nie. Wer das glaubt, kommt zu spät. Mit der massiven Beschneidung der Bürgerrechte versucht die Politik, die Illusion zu erzeugen, man könne Geschehenes ungeschehen machen und mit punktuellen Maßnahmen verhindern, dass bestimmte Bedrohungsszenarien eintreten. Das ist kindisch. Es setzt nämlich voraus, dass Terror genau so eintreten wird, wie das bereits einmal der Fall wahr. Wahrscheinlicher ist, dass genau dieses Szenario nie wieder eintreten wird.

Einschränkung der allgemeinen Bewegungsfreiheit, massive Überwachung, Generalverdächtigung bestimmter Gruppen der Bevölkerung – all diese Schritte der Politik führen in Richtung Totalitarismus. Dorthin also, wo der Terrorismus schon heute ideologisch steht und ein Heimspiel erwartet.

Was tut die Politik also, um souverän zu reagieren? Bestenfalls: nichts. Das also, was Norwegen zu tun beabsichtigt. Ein Land, das für eine offene Gesellschaft, offene Grenzen, Reichtum und – möglicher Weise in Folge dessen – sozialen Frieden bekannt ist. Ein mutiges Land.

Terror ist das Gegenteil davon. Terror bedeutet wortwörtlich Angst. Wir übersetzen den Begriff reflexartig mit dem Verbreiten von Angst durch Terroristen. Verständlich, weil die Täter-Opfer-Rollenverteilung so klar ist wie selten sonstwo.

Das ist die eine Seite, die wie üblich zu kurz greift, weil sie vom Postulat einer Existenz von natural born killers ausgeht.

Terror ist nicht nur die Ursache von Angst. Sie ist in erster Linie das Ergebnis davon. Es sind die mutigen Menschen, die sich zeigen, die offen handeln und Verantwortung auch für Andere tragen. Und es sind die Ängstlichen, die sich verstecken und aus der Deckung agieren. Insofern ist ein Terrorist ein Mensch, der die Gesellschaft an seiner Angst beteiligt.

Wie schützt sich eine Gesellschaft vor Terrorismus? Indem sie ihre Bürger ermutigt. Das ist Aufgabe der Politik. Je offener eine Gesellschaft ist, desto sicherer ist sie vor Terrorismus. Je mehr Druck eine Politik auf ihre Bürger ausübt, desto sicherer bringt sie Terroristen hervor.

Kontrolle mit Schutz gleichzusetzen, wie das nicht nur offen totalitäre Regimes praktizieren, ist ein fatales Missverständnis. Denn eine Gesellschaft weltweit so zu kontrollieren, dass terroristische Akte auch nur wesentlich erschwert werden, würde einen Totalitarismus erfordern, der nicht einmal im Dritten Reich flächendeckend durchgesetzt wurde. Und das, wohlgemerkt, zu einer Zeit, in der von Globalisierung im heutigen Sinn noch keine Rede war und in der technologisch im Vergleich zu heute Steinzeit herrschte.

Terroristische Anschläge zu verüben ist heute weltweit Jedem möglich. Wie wir in Norwegen gesehen haben.

Was ist zu tun? Es ist Trauerarbeit zu leisten. Das jedenfalls. Es ist darüber nachzudenken, wie Terrorismus der Boden entzogen werden kann.

Angst wird es immer geben. Das ja. Und immer mehr davon, in einer modernen Gesellschaft, die den Wert ihrer Mitglieder nach ihrer Wirtschaftsleistung bemisst und dabei soziale Grabenkämpfe lostritt. Eine paranoide Politik legitimiert diese Angst zum gesellschaftlichen Konsens.

Eine pluralistische Politik schafft das Gegenteil. Sie macht Mut und erklärt ihn zur staatsbürgerlichen Tugend. Genau das tut Norwegen dieser Tage. Die Regierung Stoltenberg erklärt, weiterhin den Kurs einer weit offenen Demokratie fahren zu wollen. Und König Harald verteidigt diesen Weg mit dem Argument, Freiheit sei stärker als Angst.

Das ist karger Boden für Terrorismus. Und ein Beispiel.

Stefan Peters

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