Die SPÖ, am Rande der Bedeutungslosigkeit, spricht von einem notwendigen Neustart. Wie es aussieht, bleibt es dabei. Nämlich beim Sprechen. Ein Lokalaugenschein.
Gestern war ich bei einer sozialdemokratischen Diskussionsrunde. Am Podium eine junge Mitmach-Aktivistin, ein mittelalter Ex-Bundesgeschäftsführer und ein alter sogenannter Querdenker. Es ging um die Frage, wie eine allfällige Erneuerung der SPÖ aussehen könnte oder müsste.
Hauptsache Schulterschluss
Während der Ex mit geradezu frappierender Offenheit zugab, dass versteinerte Strukturen und ein nur nebulöses Bild von der eigenen Wählerschaft nicht unbedingt zu Stimmenmaximierung führen, spielte die Aktivistin überzeugend die Rolle der braven Parteisoldatin, eine Fackelträgerin des Programms. Der alte Querdenker beschwor mit kaum hörbarer Stimme einen Schulterschluss in allen Instanzen und, wo er schon dabei war, die ewige Gültigkeit der Inhalte, die bekanntlich schon seit den 20er Jahren feststünden. Außerdem sehe es bei den Deutschen auch nicht viel besser aus, da könne man eben nichts machen, goss er eine diskursabweisende Schicht roten Estrich über die Sache.
Die Forderung nach einem Neustart, nach der Ausrichtung der Parteiziele an die aktuelle Verfasstheit von Gesellschaft und Wirtschaft, blieb dann teils vehement vorgebrachten Publikumsmeldungen vorbehalten. Fragen nach der Notwendigkeit, sich zu überlegen, wer sich mit Arbeiter angesprochen fühlen soll, einem radikalen Hinterfragen neoliberaler Wirtschaftspolitik und der Konkretisierung abstrakter Wahlkampf-Keywords wie Gerechtigkeit griff nur der Ex-Geschäftsführer ansatzweise auf.
Trägheit als politische Kategorie
Der Rest war politischer Sichtbeton, der Blick auf ein Räderwerk, das sich wie jedes System durch die kleinste Veränderung in seiner Gesamtheit gefährdet fühlt. Insofern barg die Veranstaltung keine Überraschungen, nichts Neues, bloß Bestätigung des Trägheitsprinzips, wie es auch in Personalentscheidungen zutage tritt.
Der Wiener Bürgermeister, in Mimik und Gestik an den späten Breschnjew angelehnt, dabei sprachlich eloquent wie ein Flakturm, verkörpert wie kaum ein anderer aus der roten Führungsspitze den alten grauen Mann, das Prinzip des Des-woar-scho-immer-a-so. Verschraubt mit den beiden anderen Grundgesetzen der Dreifaltigkeit des Bewahrens, Des-woar-no-nie-a-so und Da-kennt-ja-jeder-kommen hat die Partei mit seiner Bestellung ihren Strukturkonservativismus auch für die nächste Generation in Granit gemeißelt.
Wem das nicht passt, der kann ja gehen.
Gegangen wird viel dieser Tage. Nicht nur unfreiwillig, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Löwelstraße, denen lapidar per Mail die Kündigung in Aussicht gestellt wurde. Immer mehr Parteimitglieder kommen zur Einsicht, dass die SPÖ nicht mehr die Kraft ist, die glaubwürdig für ihre Anliegen eintritt. Und treten aus. Währenddessen pflegt der aufgeblähte Parteiapparat, der einst für eine riesige Schar an Mitgliedern gebraucht wurde, die letzte ihm zu Gebote stehende Gangart, den Untergang.
Bei Thomas Bernhards Der Untergeher ist es ein Musiker, der am Vergleich seines Talents mit dem eines Genies scheitert, das er sich eigenhändig als Karotte vor die Nase bindet.
Die Karotte der SPÖ heißt Bruno Kreisky. Naturgemäß kann die Partei mit ihm vor der Nase nur scheitern. Die charismatische Führerfigur, die in einem Moment historisch singulärer Prosperität mit vollen Händen Steuergelder umverteilen konnte, war homo politicus bis in die letzte Faser und hatte homogen gewachsene Freund- und Feindbilder, für und gegen die zu kämpfen im Vergleich zu heute deppensicher simpel war.
Die Karotte abzuknüpfen, um freie Sicht auf heutige und zukünftige Aufgaben zu bekommen, könnte die erste rettende Aktion einer Sozialdemokratie sein. Viel Zeit bleibt ihr nicht. Denn das Vakuum, das durch das multiple politische Versagen der Betonierer entstand, ist schon heute zu großen Teilen vom Mitbewerb ausgefüllt. Die Felder, die politisch zu bestellen sind, liegen offen da. Wenn sie die SPÖ nicht beackert, tut’s eben wer anderer.
So einfach ist das.