28.1.2011
Peter Hustinx, Datenschutzbeauftragter der EU, hat einen Vorschlag geäußert, der im ersten Moment reichlich schräg klingt. In einem Interview mit der Zeitung „Der Standard“ hat Hustinx angeregt, die User der Sozialplattform Facebook mögen doch hergehen und Geld von den Betreibern des Netzwerks fordern.
Das hört sich im ersten Moment nach einem „eat the rich!“-Reflex an. The rich, Mark Zuckerberg nämlich, Prototyp des anämischen Nerds, dessen Lieblingsprosa in Benutzerhandbüchern und auf Kontoauszügen mit bizarr vielen Nullen zu finden ist. Der junge Mann, der eine Idee hatte, die gehabt zu haben sich eine Menge anderer junger Nerds wünschen. Eine Idee, die den größten Teil aller weltweit gültigen Gesetzgebung zum Datenschutz obsolet macht. Weil eben die zu Schützenden, also wir, ohne Not all die Informationen über uns öffentlich abliefern, die, würden wir das nicht wollen, nicht publik sein dürften.
Wenn es stimmt, dass Daten Wert besitzen, dann stimmt es genauso, dass wir solcherart Wertgegenstände aus dem Fenster werfen. Sollte jemand unter unserem Fenster stehen und die Klunker einsammeln, schreien wir sehr wohl: „Haltet den Dieb!“ Das nützt uns jetzt auch nichts mehr. Hätten wir halt nicht werfen sollen.
Doch dafür sind die Datenschutzgesetze nicht gemacht. Niemand entmündigt uns, wenn wir uns auf den digitalen Dorfplatz stellen und unter der Überschrift „Mein peinlichstes Erlebnis“ Dinge über uns selbst erzählen, die erzählt zu haben uns schon sehr bald sehr leid tun werden. Was nichts hilft. Denn: „Die Rache des Journalisten ist sein Archiv“, hat Robert Hochner einmal gesagt. Journalist ist, daran werden wir uns im Zeitalter des Internet noch gewöhnen müssen, potenziell Jeder. Ebenso, wie das Archiv jedem gehört. Ob bezahlt oder als freier Download, macht bloß einen buchhalterischen Unterschied.
Facebook ist Dienstleister. Dienstleister ist die Plattform aber nur deshalb, weil wir das so sehen wollen. Wir dürfen auf diesem digitalen Dorfplatz Nabelschau aller Art betreiben. Dürfen Photos, Videos, Chats und nach außen gekehrte Befindlichkeiten abladen. Nie war das gelebte Starprinzip um die eigene Person einfacher zu relisieren. Und das Beste daran ist: Es kostet uns keinen Cent. Gratis.
Genau das sollte uns stutzig machen. Zuckerberg als prominenter Vertreter aller anämischen Nerds, die hinter social networks stehen, als paradigmatischer Vader Abraham aller Netzschlümpfe, hat eindeutig nichts Mutter Theresa-Artiges. Auch sein wirtschaftliches Umfeld, der Kapitalismus Made in USA, ist eher keiner vordergründig karitativen Werthaltung verdächtig.
Der Punkt ist: wir zahlen eh. Wir zahlen mit Aufmerksamkeit für bezahlte Werbung. Wir zahlen mit jeder einzelnen Information, die wir, den Datenschutz unterlaufend, freiwillig auf den Server kippen. „Facebook ist Stasi auf freiwilliger Basis“, beschreibt das der Kabarettist Michael Niavarani ebenso drastisch wie treffend. Ohne uns kein Content. Ohne Content keine Ads. Ohne Ads kein Reibach. Eine knappe halbe Milliarde US-Dollar netto war’s übrigens im abgelaufenen Jahr.
Wir haben gelernt, mit Gratisangeboten umzugehen. Das schon, ja. Gelernt heißt, wir haben einen „Her damit!“-Reflex entwickelt. Weil: Wer weiß, wie lange das Angebot gilt und wie lange es dauert, bis das Freibier ausgetrunken ist? Paradox an dieser Sache ist, dass es einerseits illegal ist, die Sonntagszeitung zu fladern. Andererseits ist es für Medienunternehmen geschäftsschädigend, am Zeitungsständer vorbei zu gehen es nicht zu tun. Denn verdient wird nicht am Kauf-, sondern am Werbepreis.
Was wir noch nicht gelernt haben, das ist der Umgang mit Öffentlichkeit. Mit einer Art von Öffentlichkeit, für die es vor fünfundzwanzig Jahren nicht einmal eine Definition gab. Die Öffentlichkeit des Internet, mit der niemand umgehen kann. Nicht die Politik, nicht die Gesetzgebung, nicht die Medien. Wir schon gar nicht.
Wenn wir ein Bild auf Facebook stellen, auf dem andere Menschen als wir selbst abgebildet sind, können wir diese Menschen markieren und benamsen. Ob die das wollen oder nicht, ist deren Problem. Wäre Facebook ein Medium, würde das nach dem österreichischen Mediengesetz eine Verletzung des Bildnisschutzes bedeuten. Wenn wir uns über andere Menschen via Facebook auslassen, wären wir nach dem selben Gesetz wegen Beleidigung, Kreditschädigung oder Verleumdung fällig.
Facebook ist ein Medium. Und wir sind seine Redakteure. Dass ein nationales Mediengesetz auf diese Art öffentlicher und veröffentlichter Information nur mit Kapitulation reagieren kann, ist nachvollziehbar. Immerhin hat das Gesetz im Wesentlichen dreißig Jahre auf dem Buckel und hantiert mit einem Bild von Öffentlichkeit, das längst mit bunten Deckfarben übermalt worden ist. Soviel zur Realitätsnähe der Legislative.
Die Verantwortung dafür, dass Facebook heute ein höchst profitables Unternehmen ist, tragen über eine halbe Milliarde User, die insgesamt jeden Tag, rund um die Uhr und weltweit dafür sorgen, dass das Medium seinen Zweck erfüllt. Den nämlich, Informationen auf Server zu kippen. Täten sie das nicht, wäre Facebook wertlos. Wertlos für Inserenten, die AdClicks bezahlen, wertlos für alle, die in diesem Medium genau die Informationen finden, die sie suchen. Und das ganz ohne lästige Datenschutzgesetze.
Es ist vollkommen normal, dass Hustinx die Forderung aufstellt, Facebook-Usern sollte für ihre redaktionelle Mitarbeit in diesem größten Einzelmedium der Welt etwas bezahlt werden. Was denn sonst?
Stefan Peters