23.11.2012
Gibt so Wörter, die das ganze Elend der deutschen Sprache offenbaren. Kakophonie der Hauch- und Zischlaute. Sachen, die man besser ungesagt lässt. Jedenfalls, wenn vorher, am Mittagstisch, Knoblauch drin war. Eins davon, jetzt: Nachhaltigkeit.
Aha. Nachhaltigkeit. So ein Dings, ah, na, eh gut. Sollt man halt. Also, wir. Sollten. Was machen, was dann so ausschaut, dass wir von irgendwo irgendwas wegnehmen, aber nicht wirklich, weil wir’s in Wirklichkeit eh wieder zurückgeben. Und dann ist’s immer noch da. Genau so. Weil’s gut ist. Weil’s auch angesagt ist. Und weil wir angeblich alle was davon haben. Deswegen brauchen wir’s auch. Sag ma einmal.
Was genau nützt uns die ganze Nachhaltigkeit? Das Theater um erneuerbare Energien und Rohstoffe? Die ganze Verzichtssause? Wie wenn eine ganze Staatengemeinschaft – in dem Fall die EU – kollektiv konvertiert wäre. Konsumteufel entsagen, Überfluss raus, Calvin rein, Wasser drauf. Und Amen!
Sonst könnten wir uns, heißt’s, schon mal die Schwimmwesten anziehen. Weil Weltuntergang. Worin soll eigentlich die Welt untergehen? Da will irgendwie kein Bild auftauchen. Wenn eine Olive im geschüttelten Martini untergeht, OK. Das soll sie auch, das ist ihr Job. Aber die Welt? Geht sich nicht aus.
Was also, noch einmal, nützt uns die ganze Nachhaltigkeit? Ein gutes Gefühl, ist’s das? Herunterschauen auf den Ami, zum Beispiel. Die haben zu dem Thema ja bekanntlich den Zugang eines Schwellenlandes fernöstlichen Zuschnitts. Noch einmal Party und hinter uns die Sintflut. Ein paar Dinos in den Tank. Einer geht noch. Das US-Präsidentenauto braucht 29 Liter auf hundert Kilometer. Das ist eine Vorgabe, da braucht sich der Redneck im Outback keinen Kopf machen, wenn sein Pickup fossilen Fusel schlürft, dass im Tank nur so der Strudel kreist.
Was machen wir? Wir hocken sauertöpfisch in der alten Welt herum. Wir kaufen Elektroautos, die nach spätestens zwei Stunden mit leeren Batterien den Geist aufgeben. Wien – Linz. Nonstop, wenn’s gutgeht.
Da lacht der Chinese. Wie immer. Über uns, nämlich. Und der Venezolaner erst. Der macht sich in die Hose vor Heiterkeit. Den kostet eine Tankfüllung so viel wie eine Zigarette. Eine venezolanische, nix Importware. Die verbrät er dann im Fünflitertruck. Wir reden hier vom Hubraum, wohlgemerkt. Wenn der Venezolaner den Verbrauch einstellen lässt, amortisiert sich die Mechanikerstunde nach plusminus achtzehn Jahren. Geschenkt.
Und wir? Sparen auf einen Orden? Tun wir, ja doch. Denn wir retten daweil einmal die Welt. Nicht, dass uns jemand jetzt ausdrücklich darum gebeten hätte. Das ist denen in Ost und West sowas von am Arsch vorbei. Wir tun’s einfach. Weil: Someone’s got to do the dirty job. Da können wir ruhig schon einmal damit anfangen. Wir sind die Hausfrau, die sich ungefragt und unbedankt für die Mischpoche opfert, die Schneisen der Verwüstung anlegt und im Garten Party macht, während drinnen schmallippig gekehrt, gewischt und geräumt wird.
Aber. Guter Platz für ein Aber. Aber: Die Kinder werden’s uns einmal danken. Richtig. Einmal. Jetzt grad eher nicht. Kinder sind nicht sonderlich nachhaltigkeitskompatibel. Wollen alles. Sofort. Wie der Ami, der Chinese und alle anderen, die’s noch nicht kapiert haben, dass wir keine zweite Welt auf Leasingraten nehmen, bloß, weil der Aschenbecher voll ist. Oder die Fenster so dreckig sind, dass wir Tag und Nacht nimmer unterscheiden können. Wir stellen Propeller in die Landschaft, die uns blitzsauberen Strom machen. Wir verbieten Plastiksackern. Also, wir tun’s nicht wirklich, aber wenigstens reden wir drüber. Wir schmeißen unser Gerümpel nicht weg, sondern verklopfen’s auf willhaben. Wir spülen am Klo mit bestem Trinkwasser. Aber wenigstens mit schlechtem Gewissen. Bisweilen muss eben auch der Wille fürs Werk zählen. Wir schließen die Polkappen in unser Abendgebet ein. Und Holland. Nicht wegen der Amsterdamer Coffeeshops, sondern weil uns der Meeresspiegel am Herzen liegt. Echt. Ist Hanf eigentlich eine Wasserpflanze? Wenn ich eine Insel habe und das Wasser steigt, zahl ich dann weniger Grundsteuer?
Natürlich nützt uns die Nachhaltigkeit. Wenn die Polkappen dort bleiben, wo sie hinsollen (wissen sie das?), bleiben auch die Leute überall auf der Welt dort, wo sie hinsollen. Dort nämlich, wo sie schon sind. Wenn’s nämlich bei denen ungemütlich wird, packen sie ihre Koffer und gehen dorthin, wo’s gemütlicher ist. Beispielsweise zu uns. Die sind ja auch nicht blöd. Wirbelstürme, wahlweise Dürre oder Überschwemmungen, Ackerboden, der nichts mehr hergibt, Hitze und andere Zumutungen sind’s, die den Zeigefinger auf dem Globus früher oder später bei Europa einrasten lassen. Und dann wird kuschelig, hier in der alten Welt.
Wenn’s schon nichts anderes ist, dann sind’s wenigstens die niederen Instinkte, der „Boot ist voll“-Reflex, der die Nachhaltigkeit legitimiert. Der den ganzen unsexy Verzicht mit einer Schicht aus Zuckerguss versüßt. Nein, korrekt ist das nicht. Aber es wirkt.
Was nützt uns Nachhaltigkeit? Eben. Das.
Stefan Peters